Männer-Rüstzeit 25. bis 28. April 2024 in Rathen

Ein Bericht von Hartmut Roth

Es soll diesmal ganz anders werden als sonst, wenn ich in einem Freizeitheim in Jonsdorf oder Reudnitz verweile. Die Anreise nach Rathen soll mit Bus und Bahn erfolgen. Ich will bescheiden essen und trinken und über die Tage mit den Männern nicht zu- sondern abnehmen. Geistlich will ich ein wenig wachsen und meine Distanziertheit zu anderen abbauen, indem ich aktiv auf andere zugehe. Gesagt getan, es kann losgehen.

Donnerstag 15:54 Uhr ist es so weit. Ich steige in den Bus in Pesterwitz ein und wir rollen den Berg runter nach Löbtau. Umstieg: von der 90 in die 7, die Straßenbahn. Es geht weiter zum Halteplatz Freibergerstraße. Umstieg mit kleinem Fußweg zu den Gleisen der S-Bahn, Linie 1, die von Meißen kommt und nach Bad Schandau fährt. Nachdem ich in der S-Bahn meinen Platz gefunden habe, geht es schnell. Hauptbahnhof – Reick – Heidenau – Pirna – Obervogelgesang – Wehlen – Rathen. Es ist 17:03 Uhr als ich wieder aussteige. Mit dem Auto hätte ich diese Strecke nicht in einer Stunde und 10 Minuten geschafft. Ich rolle meinen kleinen Schalenkoffer bergan und bin nach fünf Minuten vor dem Eingang von Haus „Felsengrund“, im letzten Jahrhundert gebaut, im Inneren sicher dem 21. Jahrhundert angepasst.

„Zimmer 230, das ist in Haus 2“, sagt mir der Portier, der sich abends auch noch als der Koch des Unternehmens herausstellt. Ich erhalte den Schlüssel und orientiere mich an den Pfeilen, die mir von Haus eins den Weg in Haus zwei zeigen. Es geht treppauf, treppab. In Haus zwei sind es nochmal drei Etagen hoch bis unters Dach. Aber die Unterkunft geht. Flur mit Kleiderschrank und Ablage, Bad mit Toilette und Dusche, Schlafraum mit Tisch, zwei Stühlen, zwei Betten, zwei Nachttischen, zwei Fenstern, einer Liege. Auf dem Tisch eine Bibel und ein Andachtsbuch und eine Anweisung wie man sich in dem Haus zu bewegen hat. Alles ist ein bisschen kahl, aber ich will mich ja nicht im Zimmer aufhalten, sondern Gemeinschaft mit den anderen Männern pflegen. Zum Schlafen und Herrichten reicht es. Lesen und bequem meditieren kann ich wieder, wenn ich in meiner komfortablen Unterkunft zu Hause sein werde.

18 Uhr. Die erste gemeinsame Mahlzeit. Tische, an denen zwölf Männer Platz finden, sechs auf jeder Seite. Ich habe einen Platz mittendrin. Ich schaue in die Gesichter und zweifle, ob ich mit denen klar komme. Alle alt und ein bisschen ramponiert, wie es eben so ist, wenn das Leben alles getan hat die jugendliche Schönheit zu beseitigen. Glatzen, graue Haare, nach vorne gekämmt, um den Kahlkopf zu verdecken. Dagegen schneide ich gut ab. Zähne etwas lückenhaft, ein bisschen schräg, aber was sagt schon ein Zahn über den Menschen aus. Nebenan sitzt die LKG aus Brünlos und singt ein Tischgebet. Dem Gesang schließen sich die Männer an. „Gesegnete Mahlzeit“. Und dann werden die Brote geschmiert und belegt, die man sich vorher im Rundgang am Buffet holen konnte, ebenso wie Salate. Es erinnert an die Bundeswehr oder NVA-Zeit, aber Schwamm drüber. Wir sind ja nicht wegen des Essens gekommen. Gesund und schmackhaft und stilvoll essen kann ich wieder, wenn ich zu Hause sein werde.

19:30 Uhr Vorstellungsrunde. Wir treffen uns im Andachtsraum oberhalb des Speisesaals, der nun bis Sonntag unser Treffpunkt sein wird bei den inhäusigen Veranstaltungen. Wir stellen uns vor. Jeder sollte einen Stein mitbringen und seinen Bezug zu diesem Stein darlegen. Dazu seinen Namen und seinen Herkunftsort noch nennen. Das wäre in drei Sätzen zu erledigen, aber es zeigt nun schon auf, wer zu den Gesprächigen und wer zu den Stillen im Lande gehört. Und der Bezug zu den Steinen hört sich beim einen oder anderen doch ein bisschen gestelzt und aufgesetzt an. Aber: wer frei von Eitelkeiten ist, werfe den ersten Stein. Ich nicht. Ich stelle nur fest, dass in meinem Leben Steine keine Rolle gespielt haben, sondern Menschen. Nur Menschen. In ihrer schönsten Ausgestaltung, hilfreich, wegweisend, prägend. Wir beten, wir singen, wir bedenken das Gehörte. Nach dem offiziellen Teil geht es in einen der kleineren Aufenthaltsräume „auf ein Bier“. Es gibt Radler, Landskron, Feldschlösschen, Köstritzer. Ich sitze bei meinem ersten Gesprächspartner, der mir bekannt vorkommt. Er ist Mitglied in einem Verein, der Räume angemietet hat in dem Haus, in dem ich Teil des Anwaltsteams und der Kanzlei war, das meiner Frau gehört. Wir freuen uns, dass wir uns schon gesehen haben, aber keiner vom anderen vermutet hätte, dass er zu einer christlichen Männerfreizeit geht. Unverhofft kommt oft, stellen wir fest, nachdem wir nach einem längeren Gespräch uns auf unsere Zimmer zurückziehen.

Mein Handy schreit nach mir: 7 Uhr und der nervige Ton, der Aufbruch heißt, plärrt mich wach. Meine Güte, ich muss aufstehen. Um halb acht treffen wir uns zur Morgenandacht. Zu Hause stehe ich vor acht nicht auf. Weil das auch gut passt. Meine Frau verlässt um sieben das Bett und holt sich die Zeitung. Bis ich aufstehe kann sie in aller Ruhe Zeitung lesen. Ich schleppe mich unter die Dusche. Es dauert, bis ich das Wasser auf der richtigen Temperatur habe. Dann geht es schnell. Waschen, Zähne putzen, kämmen, anziehen und raus aus dem Zimmer, nachdem das Bett zum Lüften ausgelegt ist und die Vorhänge aufgezogen sind und die Fenster angekippt. Müde Gesichter begegnen sich. Was ist das? Einer kann schon herzhaft lachen. Was es nicht alles gibt auf dieser Welt, um diese Zeit. „Fürchte Gott und halte seine Gebote; denn das gilt für alle Menschen. Jesus spricht: Das höchste Gebot ist das: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit aller deiner Kraft“. Der Losungstext für den Tag. Worte der Aufmunterung und des Trostes und Singen. Wir beten und bringen zum Ausdruck, dass wir unser Leben auch heute dem anvertrauen, der Himmel und Erde geschaffen hat und auch mit uns einen guten Plan verfolgt.

Dem Frühstück folgt das Bettenmachen, Mailnachrichten überfliegen, Zeitung lesen als E-Paper, zuerst SZ, dann DNN. Freitags kommt noch die JUNGE FREIHEIT und DER SONNTAG, Zeitung der evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens. Man muss ja informiert sein und wissen, welche Gedanken in der Welt sind. Dann gemeinsames Bedenken eines Bibeltextes aus dem AT, als das Volk Durst hatte und murrte und Mose zu Gott flehte und der ihm befahl gegen einen Felsen zu schlagen der dann Wasser die Menge hergeben würde, und Mensch und Tier Durst stillen könnten. Wir teilen uns in fünf Gruppen auf und überlegen: Wann hatten wir mal so richtig Durst und wie fühlte sich das an? Warum murrt ein Volk? Muss da einiges zusammenkommen? Oder reicht Durst? Wann suchen wir einen „Kümmerer“? Was geschieht nach Gruppenforderungen? Es wird lebhaft palavert. Unbrauchbares wird gleich vergessen, Brauchbares bleibt hängen. Die Sünde des Volkes ist das Murren das aus zu schneller Hoffnungslosigkeit erfolgt. Zu schnell wird vergessen, dass Gott das Volk aus Liebe aus dem Land der Sklaverei geführt hat, doch sicher nicht um es dann verdursten zu lassen. Nun sind alle bei sich. Worauf setze ich meine Hoffnung?

Mittagessen. Ich muss mich disziplinieren. Wir sind in einem Freizeitheim, nicht in einem Gourmettempel. Ein bisschen weniger essen tut der Gesundheit und dem Aussehen gut. Die Mittagsruhe entfällt. Um 13 Uhr geht es weiter über die Elbe Richtung Felsenbühne. Eine Führung erwartet uns. Wir erfahren, es ist das älteste Freilichttheater Deutschlands von 1936. Da waren die Freilichttheater der Griechen und Osmanen im Osten schon lange Geschichte und zerfallen. Aber „unsere“ Felsenbühne ist ganz neu. 2022 nach zweijähriger Umbauzeit auf den neuesten und zweckmäßigsten Stand gebracht mit viel Technik, dort wo man es nicht sieht im Untergeschoß und spektakulärer Lichttechnik ganz oben. Wir klettern, wir tasten uns wieder nach unten. Wir sind beeindruckt. Danach wird gewandert oder zurückgewandert und noch ein bisschen geschlemmt. Die damengesteuerte Fähre kommt nicht zur Ruhe, es geht hin und her, von dieser auf die andere Elbseite. Obwohl erst April: bei gutem Wetter ist Rathen von Touristen überflutet, auch wegen des Aufgangs zu den Schwedenlöchern und der Bastei.

Abends unterhält uns der Liedermacher Ludwig Hetzel, früher tätig im Brandenburgischen aber an der Sprache nach Chemnitz zu verorten. Mit Liedern erzählt er sein Leben, verheimlicht nicht seine Pleiten, nimmt uns mit in die Frühzeit der Beziehung zu seiner Frau, kurz: unterhält uns gut und macht uns noch nebenbei nachdenklich, die wir gerne mit unseren Leben vergleichen. Schön, dass er nun sogar in westlichen Gefilden angefordert wird, namensübereinstimmend in Ludwigsburg. Ein Sachse muss nach Schwaben. Und der Abend endet mit dem üblichen Feierabendbier und Gesprächen ohne Ende.

Nie gewöhne ich mich an frühes Aufstehen. Es ist Samstag und ich kleide mich an für die Morgenandacht. Jeremia 2,35: „Du sprachst: Ich bin unschuldig; der HERR hat ja doch seinen Zorn von mir gewandt. Siehe, ich will dich richten, weil du sprichst: Ich habe nicht gesündigt. Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Dann Frühstück, Betten machen, Tag vorbereiten. Matth. 16, 16: „Auf diesen Fels will ich bauen“. Was ist ein Fels? Welche Härte von 1 bis 10 muss er haben? War Petrus dieser Fels? Bin ich dieser Fels? Dankbar lassen wir uns von Karsten belehren, dass Gott nicht die Begabten beruft, sondern die Berufenen begabt. Das macht Hoffnung. Wenn Gott will, dass ich in seinem Reich eine Aufgabe angehe, macht er mich dafür geeignet. Er erwartet nichts Unmögliches von mir.

Nachmittags ist für viele Wandertag, für manche Ruhezeit, für einige seiner Neugier folgen. Das Wetter gibt immer noch alles her. Wir haben es gut getroffen. Und es wurde uns geschenkt, nichts mussten wir für das gute Wetter tun. Aber wir sind ja auch keine Klimaveränderer sondern christliche Männer, denen immer wieder verdeutlicht wird, dass uns die guten Gaben in unserer Leben geschenkt wurden, nicht von uns erfunden, erdacht und realisiert. „Vergiss es nie, dass du lebst war eines anderen Idee…“, das wird in solchen Situationen, anlässlich solcher Tagungen so richtig deutlich. Es müsste eigentlich immer präsent sein. Abends wird uns das Leben des Liedermachers Johannes Nitsch vor Augen gestellt, der viel zu früh, noch bevor er 50 Jahre alt wurde von hier in die Ewigkeit gegangen ist. Aber er hat Spuren hinterlassen, die noch lange präsent sein werden. „Jesus, zu dir kann ich so kommen wie ich bin“, nimmt uns den Druck eine Maske tragen zu müssen, um anzukommen. „Wie ein Fest nach langer Trauer“ oder „Ich will dir danken“, sind Dauerbrenner in christlichen Kreisen wo gesungen wird. Am Samstagabend begrüßen wir mit Wein, Hefezopf, Gebet und Friedensgruß den Sonntag, ähnlich einer jüdischen Sabbat-Begrüßungsfeier. Wir sind beeindruckt.

Am Sonntag habe ich mich schon fast an das frühe Aufstehen gewöhnt. Bevor mein Handy losplärrt, bin ich wach und schalte den Wecker aus. Wieder stimmen wir uns mit Andacht und Gebetsgemeinschaft auf den Tag ein. Nach dem Frühstück müssen die Zimmer für die Übergabe an weitere Gäste vorbereitet werden. Betten abziehen, Koffer packen, alles aufräumen, was eingebracht wurde. Dann Gottesdienst. Der Leiter der Männerarbeit, Dr. Erik Panzig hat den Weg von Leipzig am frühen Sonntagmorgen in die Sächsische Schweiz auf sich genommen um uns, „seinen Männern“ mit einem Gottesdienst dienen zu können. „Mein Fels und mein Heil“ ist das Thema. Zentraler Punkt: Jesus. Und danach ein gemeinsames Abendmahl mit der Landeskirchlichen Gemeinschaft aus Brünlos und einer Familiengruppe aus Großenhain, die den Saal nun auslasten. Aus der Männergruppe ist nun ein großer Chor geworden. Der Sonntag, als erster Tag in die Woche, hat gut begonnen. Mancher hofft, dass der Zauber der Tage, das Angenommensein in der Männergruppe, in der man sich gut verstanden hat, sich fortsetzt und im Alltag so bleibt. Illusion: Wir müssen jedes Jahr neu tanken, wenn wir den guten Geist dieser christlichen Männergruppe neu erleben wollen. In der Abschlussrunde werden uns nochmals Steine zur Verfügung gestellt, die uns an die Tage erinnern sollen. Ich beschrifte meinen Stein auf der Vorderseite mit „Ich will ein Fels werden“ und auf der Rückseite mit „zuverlässig für Nächste“. Ja, das möchte ich wirklich.

Nach dem Mittagessen ist Aufbruch. Ich bewege mich Richtung Bahnhof, da reißt mich ein Pfiff zurück und Michael rennt zu mir bergab. Ich habe meinen Rasierer liegen gelassen und nun wird er mir nachgetragen. Nachtragen in dieser Form ist durchaus hilfreich, denn an dem Rasierer war auch noch mein Kinnbartkürzer. Danke

Die S-Bahn bringt uns nun wieder in Richtung Heimat. Ich denke nach. Heimat? Ist das ein geographischer Ort? Oder ist Heimat dort, wo ich verstanden werde, mich wohlfühle und gerne verweile? Auch Rathen in der Sächsischen Schweiz könnte meine Heimat sein (werden)…

Text: Hartmut Roth; Bilder: Andreas Ilsche und weitere Männer